Top of the World Highway

Die Abschiedsparty in Dawson City steckt noch etwas in meinen Knochen und nach einem längeren Aufenthalt wieder loszukommen ist nicht ganz einfach. Erst am späteren Nachmittag nehme ich die Rampe Richtung Westen in Angriff. Die harte Arbeit wird mit zahlreichen schönen Ausblicken belohnt, ehe das Wetter umschlägt und für die nächsten Stunden mit mir Katz und Maus spielt. Ich weiss gar nicht mehr zum wievielten Male ich meine Regenklamotten jetzt wieder ausziehe. Ein Duft in der Luft verrät, dass es nicht nur das Wetter ist, welches meine Aussicht trübt. Es riecht verbrannt, auch wenn kein Brand weit und breit sichtbar ist. Nach 50 Kilometern und gut über 1200 Höhenmeter schlage ich mein Nachtlager auf.

Ich erwache zum leichten Rascheln, welches der feine Regen auf meinem Aussenzelt erzeugt. Die Verlockung ist zu gross und ich drehe mich nochmal. Mit genügend Schlaf und dennoch müden Beinen geht es weiter. Die Strasse schlängelt sich unerbittlich die Krete hoch, von einem zum nächsten Gipfel. Es dauert eine ganze Weile bis meine Beine Betriebstemperatur erreichen. Hoch zur Grenze bin ich ziemlich am Limit, die letzten zwei Kilometer muss ich einige Male absteigen. Dann endlich erreiche ich den Gipfel und somit die Grenze zu Alaska. Die US-Grenzwächter sind mehr oder weniger freundlich. Nunja, irgendwie macht es den Eindruck, dass sie bloss so tun müssen, als ob es schwierig sei in die USA einzureisen. Nach der Grenze geht es hauptsächlich runter. Es ist berauschend, auch wenn die kurzen Aufstiege zwischendurch in den Schenkeln schmerzen. Das Wetter zeigt sich heute von seiner schönsten Seite. Es sind genug Wolken am Himmel, um sich in deren Schatten abzukühlen und der Sonnenschein kommt auch nicht zu kurz. Angetrieben von diesen Bedingungen und der herrlichen Umgebung ziehe ich durch bis Chicken. Ausgepowert von 120 Kilometer und 1700 Höhenmetern, stelle ich um halb zwei Uhr in der früh mein Zelt auf.

Happy fourth of July!

Downtown Chicken ist das Zentrum eines kleinen, verrückten Partynests bestehend aus Souvenirladen, Restaurant, Schnappsladen und einem Saloon. Auf dem Parkplatz direkt nebenan darf man gratis kampieren. Mit verschlafenem Gesichtsausdruck krieche ich aus meinem Zelt und höre jemanden meinen Namen rufen. Dany und Tommy, meine Gastgeber aus Dawson City, sind auf ihrem Wochenendtrip nach Valdes und machen hier Rast. Ein freudiges, wenn auch nur ganz kurzes Wiedersehen. Ein Blick um mich herum verrät, dass hier so einige Träume auf diesem Parkplatz versammelt sind. Ein auffälliger, oranger Unimog, mit hochfahrbarer Campingeinheit steht direkt neben meinem beschaulichen Fahrrad. Doch das Häuschen von Jenna und Guillaume, welches auf einem Anhänger steht, stiehlt allen die Show. (tinyHouseGiantJourney.com) Es dauert nicht lange bis alle beisammen sitzen und über ihre Pläne, Träume und Motivation philosophieren. Allesamt sind getrieben von der Wanderlust, die Suche nach Freiheit und Unabhängigkeit. Kann ein Independence Day besser beginnen?!

Die Tour durch das Tiny House beeindruckt mich so sehr, dass der Bau eines solchen auf meine Liste potentieller Projekte wandert. Gemeinsam mit Jenna und Guillaume gehe ich zum Postgebäude, da einige Leute meinten es gäbe ein gratis Grillfest. Das Grillfest kostet zwar nichts, aber eine Mindestspende von 25 Dollar ist gefragt, Hmmm?!? Wir entschliessen uns, das ganze erst mal anzuschauen. Relativ schnell erhalten wir den Eindruck an einer Versammlung der NRA zu sein. Wieso? Zum Beispiel kann man bei einem Gewinnspiel mit 20 Dollar Einsatz eine Schrotflinte gewinnen. Wir entschliessen uns dann doch ein eigenes Süppchen zu kochen.

Den Nachmittag verbringe ich mit faulenzen und einem Spaziergang durch Chicken. Dabei schaue ich mir den ausgestellten Dredge etwas genauer an. Diese schwimmenden Kolosse versetzten früher, auf der Suche nach Gold, ganze Flussbette. Abends stieg die Party vor dem Saloon, mit Livemusik. Die Stimmung war ganz entspannt bis jemand auf die Idee kam, mich zum Singen zu nötigen. Nach langer, erfolgreicher Verweigerung schloss sich Guillaume mir an und so trällerten wir “I wohnt back down” von Tom Petty. Aus Angst vor Schadensersatzklagen und Misshandlungsvorwürfen, halten wir das Mikrofon genug weit von unserem Stimmorganen entfernt, sodass uns kaum jemand hören kann. Immerhin müssen jetzt auch einige andere daran glauben. Die Feier dauert noch etwas an, doch ich bin reif für meine Penntüte.

Alaska, Alaska?

Die Reise führt mich über den Taylor Highway etwas weiter nach Alaska hinein. Die hügelige Landschaft ist nun geprägt von verbrannten Bäumen. Die junge Vegetation zwischen den verkohlten Baumstämmen verrät, dass die Brände erst vor wenigen Jahren gewütet haben. Aufgrund des kalten Klimas und des kurzen Sommers erholt sich die Flora hier nur sehr langsam. Insbesondere die Moose bevorzugen die Gegenden in denen es vor kurzem gebrannt hat. Dennoch muss ich mich weiter gedulden, um einen solchen zu sehen. Die Brände halten die Wälder sauber und sind teil des natürlichen Prozess. Sie werden bloss bekämpft, wenn Siedlungen gefährdet sind oder sie in der Nähe von den Highways lodern.

In Tok mache ich Halt um meinen Proviant für die Reise zurück in den Yukon zu kaufen. Bei der Touristen Information treffe ich Paul. Ein älterer Herr mit Rucksack und zwei Einkaufstüten. Paul erzählt ein wenig aus seinem Leben. Weil sein linkes Auge sich von Geburt an nicht bewegt, darf er keinen Führerschein machen. In Mitteleuropa scheint mir dies nicht all zu tragisch. Nun stellt euch vor, wie ihr euch in Kanada organisiert, ohne öffentlichen Verkehr und den riesigen Distanzen. So reist Paul schon sein ganzes Leben per Anhalter kreuz und quer durch Kanada und Alaska. Er ist auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit nach Fairbanks und schildert wie vor 20 Jahren mindestens 15 Tramper an der Kreuzung standen und darauf warteten mitgenommen zu werden.

Ich mache mich auf Richtung Osten auf dem Alaska Highway und komme etwas ausserhalb am Tok Motel vorbei. Luke, mit dem ich in Dawson einige Partys feierte, ist hier untergebracht. Ich versuche mein Glück und er ist in der Tat zu Hause. Er offeriert mir ein Bier und wir tauschen die letzten Geschichten aus. In Dawson hatte er mir von der Kantine vorgeschwärmt, diese ist kurz davor zu schliessen. Die Kantine ist Hilary's Reich. Sie lädt mich ein die Resten zu vernichten. Die mit Streichkäse gefüllte Hühnchenbrust zergeht mir auf der Zunge. Die auf meinem Teller hochgetürmte Pasta mit selbst gemachtem Pesto ist schnell verputzt. Dazu gibt es frischen Salat, es ist eine wahre Wohltat für meinen Gaumen. Danke, Hilary!

Bevor ich mich endgültig auf die Socken mache, gibt es noch ein Bierchen und eine Einführung ins Hufeisen werfen. Am südlichen Horizont steigt eine dunkle Rauchsäule empor. Luke meint, jetzt hat es wohl einen unserer 100 Gallonen Dieseltanks erwischt. Ein Brand tobt an jenem Ort, an dem Luke’s Mannschaft Probebohrungen für die geologischen Untersuchungen macht. Die Rauchschwaden ziehen nordwärts über den Alaska Highway. Vor dem Sonnenuntergang will ich noch einige Kilometer zurücklegen. Deswegen muss ich mitten durch die Rauchwolke fahren. Die Sichtweite beträgt weniger als zehn Metern, ich bin gespannt was mich auf der anderen Seite erwartet.

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