Zurück in Haines Junction, mache ich mich mit einer herrlichen Aussicht auf die Berge des Kluane Nationalparks an die Arbeit. Ich erwische mich einige Male, wie ich gedanklich in der Landschaft versinke und einfach die Aussicht geniesse. Die Reifen sind getauscht, die Kette mache ich auch gleich. Wenn ich schon dabei bin, kontrolliere ich die Bremsen und auch sämtliche Schrauben. Bevor ich wieder in die Pedale trete, gönne ich mir noch eine Stärkung.

Auf der Haines Road fahre ich Richtung Süden. Schnell merke ich, dass ich auf der ganzen Strecke Gegenwind zu erwarten habe. Es macht mir nicht viel aus. Sehr gerne fahre ich etwas langsamer durch diese bezaubernde Landschaft. Der Verkehr hält sich in Grenzen, sodass ich es voll und ganz geniessen kann. Ich bemerke, dass ich viel mehr trinke als auf anderen Teilstrecken. Ich frage mich, wieso? Die einzige Begründung, die ich finden kann, ist dass ich vor Staunen mit hängendem Kiefer durch die Landschaft fahre und dabei der Wind meinen Mund austrocknet. Zwischenurch setzt zum Glück Nieselregen ein, der dem Austrocknen entgegenwirkt. Obwohl Haines am Meer liegt, schlängelt sich die Strasse während den ersten rund 180 Kilometer stetig hoch.

Eine Nacht verbringe ich kurz vor der Passhöhe, da das Wetter verrückt spielt und es schon früh dunkel wird. Beim “Aufbauen” des Zeltes ist auf Grund des stürmischen Windes grösste Vorsicht geboten. Die Öffnung des Aussenzeltes entlang des Bodens mauere ich mit Steinen zu. Zum Abspannen verwende ich ebenfalls Steine, so kann ich die Nacht einigermassen ruhig schlafen. Die Strapazen des Tages lassen mich etwas länger schlafen. Geweckt werde ich durch ein Rascheln. Ich vernehme ein deutliches, relativ lautes Atemgeräusch, welches nicht meins ist. Überlege schnell und gut was du jetzt machst. Da es beim Wander so gut geklappt hat, versuche ich es auch hier mit Singen. Ich stimme ein für “Always look on the bright side of life”. Gerade noch rechtzeitig vor dem Teil in dem gepfiffen wird, mache ich eine Pause. Denn ein Bär könnte mich fälschlicherweise für ein Murmeltier oder anderes Kleintier halten, welche in sein Beuteschema passt. Ich kann mich nicht zurückhalten und muss, ob der obskuren Szene, lachen. Fünf Minuten später riskiere ich einen Blick und es ist nichts mehr zu sehen.

Der Gegenwind bleibt hartnäckig und in Verbindung mit der Steigung bremst es mich mehr als erwartet. Derweil kann ich das Zusammenspiel von Wolken, Bergkanten und den starken Winden geniessen. Es sind faszinierende, schon fast hypnotisierende Anblicke, die ich leider nicht vermag in Bildern zu erfassen. Endlich erreiche ich den Pass. Hier treffe ich auf Hope und John aus Anchorage, gemeinsam nehmen wir die atemberaubende Abfahrt zur Grenze nach Alaska in Angriff. Zwanzig Kilometer lang geht es runter. Stolze Berge und ewiges Eis bilden eine wahrlich grossartige Kulisse für diese Genussfahrt. Die Bremsen werden ziemlich beansprucht einerseits, weil wir alle doch einiges Gepäck haben. Wir geniessen die Ausblicke und wollen nicht nur durchrauschen, wie die wenigen Camper, welche uns passieren.

Wir passieren die Grenze in die vereinigten Staaten, diesmal läuft alles ganz entspannt ab. Beim 33 Mile Roadhouse verpflegen wir uns mit dem Standardessen, Burger mit Pommes. Ein kleines Stück fahren wir gemeinsam entlang des Bald Eagle Schutzgebietes. Zwei Adler ziehen ihre Kreise über uns, als wir uns verabschieden. Für mich geht die Fahrt weiter. Ich bin es noch immer nicht gewohnt, dass die Nacht herein bricht. Fasziniert vom rotgefärbten Himmel, bleibe ich auf einer Brücke stehen und mache ein Foto von den lila Wolken. Ich wende mich wieder der Strasse zu und bin mindestens genauso verblüfft, wie die Grizzlymutter, die auf ihren Hinterbeinen steht und mich beäugt. Die zwei jungen versuchen es ihr gleichzutun, müssen jedoch zwischendurch wieder auf alle viere. Den Fotoapparat noch in den Händen, versuche ich diesen Moment festzuhalten. Doch schon die kleinste Bewegung lässt sie davonrennen. Zum Glück ist die Mutter etwas zu schnell für die kleinen. Sie richtet sich, kurz bevor sie gemeinsam im Wald verschwinden, nochmals auf und so kriege ich doch noch meinen Schnappschuss.

Haines ist ein Hafenstädtchen mit Charme und einem wahrlich herrlichen Platz für mich direkt am Meer. Dieser ruhige Ort lädt förmlich dazu ein einen Ruhetag einzulegen. So, kann ich ganz entspannt meine Wäsche machen und Proviant besorgen. Am Abend geniesse ich ein Bierchen im “Fog Cutter” mit einem anderen Radfahrer, Simon aus Ontario. Unsere Wege hatten sich zuvor schon auf dem Alaska Highway gekreuzt. Das Pit in Dawson und der Fog Cutter in Haines, einige würden jetzt behaupten, ich hätte das Nachtleben von Alaska und vom Yukon gesehen.

Es ist schon alles gepackt und ich bin startklar um zum Fährterminal zu fahren. Da komme ich mit einem Nachbar auf dem Zeltplatz ins “Gespräch”. Mike ist taubstumm und da mein Akzent zu stark ist klappt es nicht ganz so gut mit Lippenlesen. Wir verständigen uns mit Papier und Bleistift. Er macht einen 5 Tages Kayaktrip in den Glacier Bay Nationalpark. Gerne hätte ich diesen auch gesehen, doch ich habe noch so einige andere Höhepunkte vor mir. Der Geist des Abenteurers steckt in beiden von uns, so vergeht die Zeit während unserer Unterhaltung etwas zu schnell. Nun, muss ich mich sputen um noch die Fähre zu erreichen.

Die Fahrt mit der Fähre dauert eine knappe Stunde, die vermeintlich grandiose Sicht wird leider durch die Wolken verdeckt. In Skagway angekommen wird auf den ersten Blick klar, dass es touristischer ist als Haines. Verständlich, denn hier legen all die grossen Fähren aus dem Süden an. Mit Simon suche ich ein Kaffee, bevor wir los wollen. Doch etwas in mir hält mich zurück, so entschliesse ich mich noch einen Bummel durch die Stadt zu machen. Der Bummel wird etwas länger, weil ich mich darin versuche meine photographischen Fertigkeiten über die Standard-Landschaftsbilder hinaus zu entwickeln.

Auf dem Weg aus der “Altstadt”, bleibe ich vor dem letzten Gebäude stehen. Der Schriftzug “Skagway Brewing Company” prangt über der Türe. Die Biere gibt es zum Glück als kleine Taster, sodass ich alle Eigengebrauten versuchen kann. Das Spruce Tip schmeckt hervorragend zu meinem Burger, der mit Ananas, Avocado und anderen leckeren Zutaten gespickt ist. Das dunkle Bier passt bestens zum riesigen Stück Rüebli-Chueche. Der Abend ist schon etwas fortgeschritten, als ich gut genährt aus der Stadt rolle.

Nicht all zu weit in den Aufstieg hinein, werde ich jäh gestoppt. Die Barriere am US-Zollhaus ist unten. Ich bin etwas verwundert, da in meinen Unterlagen steht, 24 Stunden geöffnet. Der Zöllner meint bloss um 23 Uhr würde die Strasse geschlossen. Es ist zwar erst halb Elf, aber bekanntlich will man nicht unnötig argumentieren. Er winkt mich durch das Rotlicht und da blitzt es wie wild. Ich frage mich in wievielen Datenbanken, diese Bilder landen werden. Kurz vor der Grenzstation hatte ich einen einigermassen passablen Platz für die Nacht gesehen.

Am nächsten Morgen werde ich von einem freundlichen “Good morning” geweckt. Offensichtlich habe ich mich an einer Einstiegsstelle für eine Kletterroute breit gemacht. Nach einem entspannten Gespräch mit dem Tourenführer packe ich meine sieben Sachen und sie starten in ihre Tour. Der Tag beginnt trüb. Diesmal ist die Schranke oben, sodass ich den Aufstieg zum White Pass in Angriff nehmen kann. Über die nächsten 18 Kilometer überwinde ich mehr als 1000 Höhenmeter. Die Wolken steigen stetig mit mir. Immer wieder eröffnen sich mir eindrückliche Ausblicke. Mit einigen kurzen Pausen, es versteht sich diese dienen lediglich zum Fotografieren, ist der Aufstieg entspannter als erwartet. Ich erreiche den Gipfel und was folgt ist eine Fahrt durch eine traumhafte, alpine Landschaft. Es sind wahre Hochgefühle, die diese Strecke in mir auslöst.

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