Am frühen Morgen setzt ein kurzer Regen ein. Dieser verzögert meinen Start ein wenig, da ich das Zelt trocken einpacken will. Dann noch kurz einen Kaffee geniessen und los gehts, ab in den Süden. Das Gelände ist sehr wechselhaft, es geht kaum flach. Hoch, runter, links, rechts und wieder links… Die Strasse schlängelt sich zwischen den unzähligen Seen durch. Die kurzen Geraden sind gesäumt von verbrannten Bäumen, dazwischen wächst Fireweed in Massen. Das Gelände ist ermüdend, so komme ich spät an meinem Schlafplatz an. Boya Lake wurde mir von vielen wärmstens empfohlen.

20 Dollar fürs Campen?

Bei der Einfahrt steht ein Schild auf der eine Campinggebühr von 20 Dollar erwähnt wird. Die designierten Plätze zum Campen sind Kiesplätze perfekt wenn man mit einem Luxusschiff reist, welches keine Heringe braucht. Ich fahre schnurstracks ans Seeufer. Die Aussicht gefällt mir sehr, so schlage ich mein Lager direkt am See auf. Hmmm, ich lese die Bestimmung nochmals ganz genau. Es steht, pro besetztem Platz ist die Gebühr fällig. Ich lege die Regel etwas grosszügig aus und finde, da ich keinen offiziellen Platz belege verzichte ich auch darauf die Gebühr zu zahlen. Viele Camper schlendern dem Ufer, grinsen und finden, dass ich das schon richtig machen. So springe ich ins erfrischend kalte Nass, bevor ich mein Abendessen zubereite. Es wird immer dunkler und der Vollmond erscheint in voller Pracht. Das ruhende Wasser zeigt das gestochen scharfe Spiegelbild unseres Trabanten. Genau so habe ich mir das vor der Reise ausgemalt.

1. August

Bestens erholt mache ich mich wieder auf den Weg. Die Parkhüter winken mir nach und wünschen mir eine sichere Weiterfahrt. Ich versuche mir vorzustellen, wie die Reaktionen in der Schweiz ausgefallen wären. Schweiz? Hmmm, da war doch was… Stimmt es ist der 1. August, also unser Nationalfeiertag. Die letzten Jahre feierte ich jeweils mit Freunden in der WG. Auf dem Dach des Perron 1 trafen wir die Nachbarn. Während rund um uns herum die Feuerwerke bunte Figuren in den Nachthimmel zauberten stiessen wir mit einem Glas Wein an. Genug der Vergangenheit. Auf einem Rastplatz steht ein Wohnmobil mit Zürcher Kennzeichen. Aus gegebenem Anlass klopfe ich an und plaudere mit dem Paar, welches die wohl schönste Beschäftigung für den Ruhestand gewählt hat. Keine halbe Stunde später kommen mir zwei Radfahrer entgegen. Vater und Sohn gemeinsam auf Tour und klar es sind Schweizer.

Wo bleibt der Verkehr?

Es hat kaum mehr LKWs, da diese über den weit besser ausgebauten Alaska Highway fahren. Zu früh gefreut, ich komme in eine Region, in der aktuell eine neue “lokale” Stromversorgung errichtet wird. In Jade City mache ich einen Halt und schaue im Jadeladen vorbei. Ich lerne Richard kennen, er arbeitet für den Discovery Channel Kanada. Es wird gerade die zweite Staffel der Reality-Dokumention “Jade City” gedreht. Ich lerne, dass weit mehr als fünfzig Prozent des weltweit geförderten Jade aus dieser Region stammt. Die Vorkommen in China und Neuseeland seien erschöpft. Im Laden entdecke ich einige schöne Stücke, doch die Preise sind zu schön. Jade City würde ich nicht wirklich als Stadt bezeichnen, es sind keine zehn Gebäude.

Die Recreation Sites entlang des Highway 37 stellen sich als hervorragende Plätze zum Übernachten heraus. Bei diesen muss ich die Regelungen nicht so frei interpretieren, denn diese sind gratis. Ich werde von der steigenden Temperatur im Zelt geweckt. Es beginnt die morgendliche Routine. Beim Abbauen des Zelt erhalte ich Gesellschaft von einem kanadischen Ehepaar. Fast alle Kanadier, die man unterwegs antrifft, sind schon mal mit dem Fahrrad quer durch ihr Land gereist. Sie meinen bloss: “Wir wissen noch ganz genau, wie wir uns über jedes kleine Geschenk gefreut haben”, und stecken mir selbstgebackene Plätzchen und zwei Pfirsiche zu.

Wo bleibt die Luft zum Atmen?

Die Fahrt entlang des Sees ist schön und anstrengend, meine Beine fühlen sich etwas schwerer an als sonst. Die wenigen Ortschaften, welche ich passiere, schauen eher traurig drein. Die meisten Geschäfte sind geschlossen und fast alle Liegenschaften zerfallen, sind nicht fertig gebaut oder stehen zum Verkauf. So lasse ich auch Dease Lake schnell hinter mir und nehme den Aufstieg zum Gnat Pass in Angriff. Die Strasse geht gerade aus und sie führt mich himmelwärts. Ich passiere mehrere falsche Kulminationspunkte. Hinter mehreren Kuppen geht die Steigung immer noch weiter. Erleichtert lese ich das Schild, welches die Passhöhe angibt. Ich gönne mir eine längere Pause, das Wetter wechselt aufgrund des starken Windes im Viertelstundentakt.

Es folgt eine Fahrt im Sonnenschein. Vom Fahrtwind schiessen mir die Tränen in die Augen. Der Fahrradcomputer zeigt 66 Stundenkilometer an. Nach der Abfahrt zum Stikine River ziert ein fettes Grinsen mein Gesicht. Die Fahrbahn der Metallbrücke besteht aus einem Gitter, welches durch meine Räder zu surren beginnt. Im anschliessenden Aufstieg läuft meine Pumpe am Anschlag. Die Geschwindigkeit ist entsprechend langsam und neben dem herrlichen Ausblick in die Ferne, bietet sich mir ein weniger schönen Anblick. Die Strasse ist gesäumt mit Bierdosen und anderem Müll. Passenderweise überholt mich in dem Moment eine dieser fahrenden Luxuswohnungen mit einem grossen Truck an der Anhängerkupplung. Ich erinnere mich an den Typen in Dawson City, welcher von einer Reichweite von durchschnittlich 5 Meilen pro Gallone schwärmte. Sollte der Fahrer dieses Reisekreuzers eine Verbrauchsanzeige in Liter pro hundert Kilometer haben, so dürfte diese nun eine 3-stelligen Zahl im höheren Bereich zeigen. Dieser Wahnsinn lässt meine Lungen aufhusten, mir wird schwarz vor Augen. Ich halte und warte bis sich die dunkle Wolke, welche mich umgibt, sich verzieht. Einige Male in der frischen Luft tiefdurchatmen und weiter geht es.

Gastfreundschaft überall

Im Tatogga Ressort gönne ich mir etwas nettes zu Essen. Der Coconut-Cheesecake vom Vortag wird mir gratis als Nachspeise serviert. Danach setzt sich der Inhaber des Ressort an meinen Tisch und quatscht mit mir über meinen Traum. Er versucht mir vorzurechnen, dass es nicht teurer kommt diese Reise mit einem effizienten Kleinwagen zu bestreiten. Nach wenigen Minuten merkt er auf welch harten Granit er beisst und gibt auf. Auf dem Weg zur Tür bestaune ich den gigantischen, ausgestopften Moose und daneben den beschaulichen Elk, welcher deutlich kleiner ist. Auf den nächsten Kilometer bin ich vom neuen, hässlichen Gesicht des Highway 37 stark abgelenkt. Die Transmission Line (Hochspannungsleitung) hinterlässt fürchterliche Narben in der Landschaft. Es dauert über eine Stunde bis ich die Landschaft wieder geniessen kann. Ich gewöhne mich an die Stahlträger und zudem wird die Leitung teilweise hinter einem Streifen Wald versteckt.

Das schlechte Wetter scheint die Oberhand zu gewinnen. Es giesst wie aus Kübeln. Ich stehe an der Einfahrt zum Kinaskan Provincial Campground, leider ist es noch über 40 Kilometer bis zur nächsten Recreation Site. Zögerlich bewege ich mich zum Informationsstand. Die stolze Gebühr von 18 Dollar, lässt mich umdrehen. “Wait!” hallt es aus einer Baumreihe hervor. Die Parkverantwortliche winkt mich herein und lädt mich ein gratis zu übernachten. Obwohl ich eingeladen bin solange zu bleiben, wie ich will, entscheide ich mich am nächsten Morgen das nasse Zelt einzupacken. Ich denke mir, “Lieber jetzt damit Erfahrung sammeln, wo die Temperaturen noch angenehm sind.” Spassig ist es dennoch nicht. Aber die Erfahrung wird sich das nächste Mal sicher auszahlen.