Am nächsten Morgen bin ich deutlich sprach freudiger. Wir tauschen noch einige Geschichten aus bis die Beiden ihren Rückweg nach Jasper antreten und ich auch meine Sachen packe. Es folgt eine Wahnsinnsabfahrt. Die Sonnenbrille mag den Luftstrom nur ungenügend abhalten und meine Augen beginnen zu tränen. Es könnten auch Freudentränen sein. Mein Herz rast und ich fühle, wie mich eine Kombination aus Stromschlag und kalten Schauderns durchfährt. Beim Blick runter auf meinen Fahrradcomputer traue ich meinen Augen nicht. Er zeigt 73 Stundenkilometer an. Erst beim zweiten Hinschauen realisiere ich, wie schnell ich unterwegs bin. Es ist berauschend. Abwechslungsweise betätige ich die Vorder- und Hinterbremse damit diese nicht überhitzen.

Je tiefer ins Tal hinunter rolle, umso dichter wird der Rauch wieder. Solange es gemütlich rollt stört es nicht mehr als meine Fernsicht. Erst als das Terrain wieder wechselt und zu steigen beginnt, spüre ich wie es in meinen Lungen leicht kratzt. Es bleibt mir nichts anderes übrig als weiterzufahren, um hoffentlich bald aus dem Qualm zu kommen. Es ist ein Kampf in der Steigung hoch zum Bow Pass. Zum Glück ist diese nicht ganz so heftig wie jene vom Vortag. Oben angekommen, wartet noch eine kleine zusätzliche Wanderung hoch zu einem Aussichtspunkt über Peyto Lake. Auf dem Die Landschaft versteckt sich grauen im Schleier. Es ist speziell, da sich die Farben die Himmels im See spiegeln. Es ist ein mystischer Anblick während die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Frank hatte mir schon gesagt, dass es nach dem Bow Pass nur noch runter geht bis Lake Louise. So schwinge ich meine Hufe und reite auf meinem Stahlross zum nächsten Campingplatz. Beim Eingang treffe ich wiederum ein Paar. Er ist freiwilliger Helfer für die Nationalparks und informiert mich, dass der ganze Platz ausgebucht sei. Angesichts der Dunkelheit will ich jedoch nicht weiterfahren. Ich bin ein wahrer Glückspilz und werde wiederum eingeladen mein Zelt neben ihres zu stellen. Da das pensionierte Ehepaar eine Kostenbeteiligung von meiner Seite ablehnt, revanchiere ich mich mit etwas Schokolade.

Beim Frühstück lerne ich Inspirierendes über das sympathische Paar, welches auch mit Fahrrädern unterwegs ist. Ihre erste mehrtägige Fahrrad-/Campingtour machten die beiden mit über 65 Jahren. Im Verlauf der heiteren Unterhaltung kommen wir überein, dass viele Leute uns für verrückt halten. Wir lachen und ich nenne das erfrischend junggebliebene Paar von nun an nur noch “Die Verrückten”. Also ALLE, da draussen die meinen sie seien zu alt für etwas: überlegt euch gut, wenn ihr das nächste Mal sagen wollt: ”Wäre ich doch nochmal so jung wie du!” Aufgeregt setzte ich meine Fahrt fort und will es möglichst schnell nach Lake Louise schaffen. Der Grund dafür, während ich tief und fest schlief erschien das Interview in der grössten Tageszeitung der Schweiz. Ich stoppe dennoch an einigen Orten um die Landschaft zu geniessen und übe mich darin im jetzt und hier zu leben.

In Lake Louise verbringe ich einige Zeit damit die Unmengen an Nachrichten aus meiner Heimat zu beantworten. Als erstes prüfe ich natürlich den Familienchat nach Neuigkeiten von meinem frischgeborenen Neffen. Es dauert einige Momente bis ich mich von den Bildern des Kleinen lösen kann. Dann bin ich überwältigt bezüglich der Reaktionen auf mein Interview. Viele Freunde und auch Fremde haben mir teils seitenlange Nachrichten gesendet. Eine Nachricht ist von Emilie, die danach verlangt heute Abend alles erzählt zu bekommen. Seit einiger Zeit ist ausgemacht, dass ich die nächsten Tage bei Ihr und ihrem Verlobten verbringen werde. Dies reisst mich zum Glück aus der “Cloud” und erinnert mich, dass es doch noch eine ganz ordentliche Distanz bis nach Canmore ist.

Der Bow Valley Parkway führt von Lake Louise nach Banff vorbei an herrlicher Natur. Entgegen aller Versprechungen der Broschüren, kriege ich kein einziges Wildtier zu Gesicht. Doch das herrliche Wetter entschädigt dafür. Obwohl ich mir die letzten Tage etwas Regen gewünscht hatte, um die Luft vom Rauch zu säubern. Eine kurze Irrfahrt durch Banff später finde ich den Legacy Trail, welcher mich getrennt von jeglichem motorisiertem Verkehr bis nach Canmore bringt. Die Vorfreude seit fast drei Monaten Reise wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen ist GROSS. Emilie lernte ich vor genau zehn Jahren an der Sprachschule in Cairns, Australien kennen. Dazwischen haben wir uns vielleicht drei oder vier Mal gesehen, das letzte Mal dürfte auch schon wieder fünf Jahre her sein.

Ich irre durch eine grosse Wohnanlage, als ich plötzlich ein: “Hey, Urs!” höre. Emilie lacht von einem Balkon nur wenige Meter entfernt. Es ist ein herzlicher und schöner Empfang. Das Wort ‘crazy’ kommt in jedem zweiten Satz vor. Wir verstehen uns grossartig und lachen, als wären nur wenige Tage vergangen seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Foxy, Emilie’s Hund, beschnuppert mich zuerst etwas misstrauisch wird aber mit jeder Minute zutraulicher. Nach einer erfrischenden Dusche versinken Emilie und ich in Geschichten aus den alten Tagen und bringen einander auf den aktuellen Stand. Wir geniessen Pouletbrüste vom Grill mit frischem Salat und trinken die Flasche Weisswein, welche ich als Geschenk mitbrachte. Es fühlt sich an wie ein Stück zu Hause, die Geschichten scheinen kein Ende zu nehmen. Im Gegensatz zum australischen Pinot Gris, der schon ausgetrunken ist, als ich Logan kennenlerne. Die Beiden haben sich diesen Frühling verlobt. Er arbeitet sehr lange Tage im technischen Dienst der Fairmont Hotels. Verständlicherweise verabschiedet er sich schon früh zu Bett, da er auch am nächsten Tag früh raus muss. Emilie und ich plaudern bis tief in die Nacht.

Ausgeschlafen stehe ich auf und geniesse ein Müesli mit frischen Früchten. Mit dieser Stärkung bin ich bereit um mit Emilie und Foxy auf eine kleine Wanderung zu gehen. Sie erzählt mir von ihren Vorstellungen bezüglich der Hochzeit im nächsten Frühling. Wow, das wird wohl ein riesiges Fest. Die Wanderung führt hoch zu einem See, so klar wie man es nur sehr selten sieht. Das Wasser strahlt in einem Farbspektrum von gold über smaragdgrün zu einem königsblau. Es ist hypnotisierend, meine Gedanken driften immer wieder davon. Foxy planscht ein wenig während Emilie und mir der Sprachstoff immer noch nicht ausgegangen ist.

Auf dem Rückweg gehen wir einkaufen, damit ich mich für die Gastfreundschaft mit einem Abendessen bei Logan und Emilie revanchieren kann. Wir spannen zu Hause etwas aus, bevor ich mich der Zubereitung der Fajitas widme. Als Logan nach Hause kommt beginnen wir die Fajitas zu verschlingen. Er erzählt von seinem Job, aber als wir auf Musik zu sprechen kommen, beginnen seine Augen zu glühen. Es ist einfach zu erkennen welche Passion er für die Musik hegt. Mit vollen Bäuchen kugeln wir uns raus um mit Foxy spazieren zu gehen. Es ist bereits dunkel, doch der Mond erleuchtet die Umgebung genug um den Weg und die Konturen um uns zu erkennen. Keine 200 Meter von ihrem Apartment entfernt war vor einigen Jahren alles überschwemmt. Vor uns liegt ein Feld voller Steine, die damals angespült wurden. In einiger Entfernung machen wir eine riesige Herde an Elchen aus. Es ist ein majestätischer Anblick, wie die Vierbeiner langsam um die Steinlandschaft schreiten. Den Bullen kriegen wir nicht zu sehen. Als sie etwas näher kommen, kehren wir deshalb zurück.

Emilie und Logan müssen am nächsten Tag zur Arbeit. Dies gibt mir die Zeit endlich ein wenig an meinem Blog zu arbeiten und mein erstes Video mit den Bären zu veröffentlichen. Meine Garderobe hat auch einen Spülgang nötig. So gibt es einige Dinge zu tun. Zwischendurch schnappe ich etwas frische Luft mit Foxy, welche deutlich weniger zutraulich ist, wenn Emilie nicht da ist. Aber es läuft sich ganz entspannt, insbesondere wenn man bedenkt, dass ich nie einen Hund hatte oder will / wollte. Den letzten Abend gehen Emilie und ich aus. Wir starten den Abend bei der Legion mit Bingo und gönnen uns später einige Biere mit Emilie’s Freunden. Es wird dann doch deutlich nach Mitternacht als wir nach Hause spazieren.

Ich darf noch einmal ausschlafen. Dann packe ich meine sieben Sachen und treffe Emilie im Tim Horton’s auf einen Kaffee um mich zu verabschieden. Ich hoffe, dass man sich irgendwo auf diesem Planeten wieder trifft. Danke Emi! Es war erfrischend ein altbekanntes Gesicht zu sehen. Ich bin mir nicht ganz sicher was jetzt kommen wird. Mit Canmore habe ich den letzten Ort meiner geplanten Route erreicht. Von nun an weiss ich lediglich, dass ich im November in San Francisco sein sollte. Ich bin aufgeregt, wohin mein Trip als nächstes führt.

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Kommentare   

# RE: Icefields Parkway, Teil 2Uta von Mallinckrodt 2015-10-10 16:19
Welch eine schöne Anwechslung!
Ich bin bei der Arbeit mit schwerkranken und sterbenden Menschen und lasse mich durch deinen Bericht für einige Minuten in einen anderen Kontinent entführen und kann das Gefühl von Freiheit und Leben nachspüren.Liebe Grüße aus dem Ruhrgebiet Uta
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