Die letzten Wochen

Viele Kleinigkeiten waren noch zu erledigen und die Wohnung war noch abzugeben. Die Zeit vor meinem Reiseantritt war also intensiver als erhofft. Beim Verstauen der Matratze im Estrich meines Elternhauses ist es dann passiert. Ungeschickt und ungeduldig trete ich in die Aussparung der Leiter. Dank schneller Reaktion kann ich mich mit meinem linken Bein und der rechten Hand abfangen. “Knack” und ich merkte gleich, dass da etwas mit dem linken Knie nicht stimmt und meiner Mutter hatte ich einen weiteren Schock fürs Leben verpasst. Es galt nicht lange zu fackeln, kurzerhand ging ich zu meinem Hausarzt. Der wollte angesichts der Reise keine Prognose wagen und verwies mich an einen Spezialisten. Zwei Tage später folgte die mahnende Entwarnung: Reise ok, aber immer schön vorsichtig. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Zerrung des Innenband handelt. Ich konnte einige Tage nicht mehr normal gehen. Ein besonderes Highlight vor der Reise liess ich mir aber nicht nehmen. Mit meinem Bruder besuchte ich das Sonisphere Festivals in Biel mit Muse und Incubus als Headliner. Einfach genial!

Der lange Tag

Alles Essentielle für die Reise ist erledigt, bis aufs Packen der Radtaschen. Es liegt zwar alles nach Packliste bereit, aber ich kann mich nicht zurückhalten und finde noch für das eine oder andere weniger Wichtige Platz. Das Fahrrad ist fix gemäß Anweisungen der Airline im Karton verpackt. Das letzte Abendessen im Rahmen der Familie, es wird grilliert und soweit bin ich noch entspannt. Natürlich ist danach der obligate Moment gekommen, in dem das Bauchgefühl sagt ich habe etwas vergessen. Ich lege mich drei Mal hin und versuche die Augen zu schliessen. Es bringt nichts mein Körper und mein Kopf laufen auf Hochtouren. So stehe ich immer wieder auf und mache mich selbst verrückt. Ich packe die eine oder andere Tasche nochmals aus und wieder ein. Ich finde die ganze Nacht keinen Schlaf. Dann endlich ist es soweit, der 09. Juni ist da. Jener Dienstag, welcher seit einem halben Jahr fett in meinem Kalender markiert ist.

Mit dem Mietbus gehts nach Solothurn an den Bahnhof. Es heisst von einigen guten Freunden Abschied zu nehmen. Bei einem Kaffee klopfen wir noch einige Sprüche, bevor es für einige mit Umarmungen und einigen Tränchen zur Arbeit geht. Eine kleine und feine Gruppe konnte es sich einrichten den Vormittag frei zu nehmen und kommt mit an den Flughafen. In Neuendorf machen wir einen kurzen Zwischenhalt um meine Eltern und das Fahrrad mit zu nehmen. Von da geht es ohne Halt bis Zürich Flughafen. Die Müdigkeit und ausserdem der Gedanke so viele vertraute Gesichter für einige Zeit nicht mehr zu sehen machen mir etwas zu schaffen. Ich finde kaum Worte auf der Fahrt zum Flughafen.

Die zwei Koffer mit den Radtaschen sind aufgegeben und der Fahrradkarton hat seinen Aufkleber mit der Destination YVR, stellvertretend für Vancouver ebenfalls schon. Beim Abgeben des Velos kommt dann die kurze und knappe Bemerkung: zu gross. Die Person, welche den Aufkleber anbrachte, weiss auch nicht wirklich weiterzuhelfen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als einen neuen kleineren Karton zu kaufen. Der Haken an der Sache: das Vorderrad muss raus. Die Halterungen für die Scheibenbremsen waren im Gepäck und so auch das ganze Werkzeug. Zum Glück blieb uns genügend Zeit für eine Bastelstunde. Vor allem bezüglich dem Vorderrad mache ich mir etwas Gedanken und hoffe auf den improvisierten Schutz, den Nik aus der zu grossen Kartonbox zauberte. Endlich ist auch das Fahrrad aufgegeben.

Eigentlich wollte ich um 12:00 Uhr durch den Sicherheitscheck, doch die Zeit für ein letztes Bier musste sein. Wir sitzen beisammen, doch alle sind ziemlich wortkarg. Alle wissen der Moment ist gekommen. Es ist ein schmerzhafter Abschied, wie ich ihn noch nie erlebte. Nur noch die letzten Umarmungen, bevor ich durch den Ticketscanner gehe und einen letzten Blick zurückwerfe. Normalerweise löst sich der Klumpen in meinem Magen bei schweren Abschieden kurz nach dem Gang durch den Sicherheitscheck, dieses Mal nicht. Selbst eine Stunde später will er nicht weichen, immerhin weiss ich mit Gewissheit, dass ich das Richtige für mich tue. Seit den frühen Morgenstunden bin ich ganz wirr im Kopf, dies löst sich endlich. Dieser Selbstschutz weicht und in meinem Kopf beginnt es zu arbeiten und wie!

Die Flüge verlaufen unspektakulär. In Reykjavik kommen wir erst mit einer Stunde Verspätung los, diese nutze ich für ein leckeres Abendessen. Vom langen Sitzen beginnt mein Hintern zu schmerzen. Dabei verzieht sich beim Gedanken an die vielen Stunden im Fahrradsattel mein Gesicht zu einem Grinsen. Im gleichen Moment bange ich um den Zustand meines Drahtesels. Kurz vor 19.00 Uhr landet der Flieger in Vancouver, 04:00 Uhr Schweizerzeit. Nach einigen kritischen Fragen am Zoll und einem “safe travels” vom Zöllner, stehe ich vor meinem Gepäck und einer Fahrradbox mit einem Loch aus dem der Schnellspanner des Vorderrades ragt. Ich überprüfe die Bremsen, Schaltung und Laufräder und stelle mit Erleichterung fest, dass nur der Schnellspanner in Mitleidenschaft gezogen wurde. Direkt beim Ausgang des Flughafens kann ich mein ganzes Material einlagern. Nur das Nötigste packe ich in meinen Tagesrucksack. Mit dem Skytrain fahre ich in die Stadt rein. In einer herrlichen Abendstimmung mache ich einen Spaziergang durch die Stadt, um eine Bleibe für die Nacht zu finden.

Der Morgen in Vancouver startet früh, da der Jetlag mich noch fest im Griff hat. Um halb vier Uhr liege ich hellwach im Bett und suche online nach den nötigen Informationen um meinen Tag zu planen. Flüge von Vancouver nach Inuvik und woher ich ein neues MacBook bekommen kann. Zum Leidwesen meiner Zimmerkollegen stehe ich kurz vor 6 Uhr auf. Nach einem kurzen Spaziergang gibt es Frühstück im Hostel, um dann gestärkt ins Stadtzentrum zu ziehen. Wenig später finde ich im London Drugs meine Blogging Maschine. Nach kurzer Beratung bezüglich der Telefonanbieter beliess ich es dabei und nutzte vorderhand mein Abonnement, welches noch bis Ende Juni läuft. Nun habe ich alles nötige beisammen und nehme den Zug zum Flughafen. Dort versuche ich einen Flug nach Inuvik zu buchen, doch dies war leichter gesagt als getan. Letzten Endes buche ich über die Hotline von Air North einen Flug noch für denselben Abend.

So bleiben mir noch einige Stunden, um die schöne Stadt Vancouver noch ein bisschen genauer anzuschauen. Es zieht mich ins Gas- und Chinatown. Ich schlendere an den alten Gebäuden aus Ziegelstein vorbei, als ich den herrlichen Duft von frisch gebackenem Brot wahrnehme. Ein kleiner Hunger lässt mir keine andere Wahl, als dem Duft zu folgen. Die Lokalität heisst Nelson, the Seagull. Eine wahre Oase mit gesunden Köstlichkeiten und einer wahrlich entspannten Atmosphäre. Die offene Backstube sorgt für einen speziellen Charme, aber auch für genügend Appetit. Ich beginne mein MacBook einzurichten und schreibe an einigen Berichten weiter. Da spricht mich Heather an und wir kommen ins Gespräch über das neue MacBook, Vancouver, Arbeit, Reisen und vieles mehr. Die Zeit vergeht im nu und ich muss mich dann leider schon auf den Weg an den Flughafen machen.

Beim Check-In wird mir freundlich alles erklärt, wo welche Gebühren noch anfallen werden für Übergepäck und das Fahrrad. Mit dem offenen Fahrradkarton geht es zur Aufgabe für sperriges Gepäck. Dan, der Sicherheitsmann, interessiert sich für meine Geschichte. Er kontrolliert den Inhalt der Box auf Sprengstoffrückstände, fotografiert mich mit meinem Bike und hilft mir den Karton sauber zu schliessen. Wir plaudern noch etwas und so lädt er mich für September ein sein Gast zu sein. Etwas später am Gate finde ich das Foto im Facebook Posteingang mit seinen Kontaktdaten.

Mit leichter Verspätung hebt der Flieger etwas vor 21.00 Uhr ab. Gegen 23.00 Uhr landen wir in Whitehorse, wo uns zwei ausgestopfte Caribous am Gepäckband empfangen. Das Fahrrad hat den Flug gut überstanden. Schnell sind alle Leute verschwunden, nur ich und eine Putzfrau sind noch da. Da der Weiterflug am nächsten Morgen um 07.00 Uhr in der Früh geht, lege ich mich in einer dunklen, ruhigen Ecke schlafen. Was für ein Tag.

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