Als ich meine Augen öffne, finde ich mich in der Ankunftshalle des Flughafen von Whitehorse wieder. Ich packe meine bequeme Luftmatratze weg und trotte im Halbschlaf zum Check-In Schalter. Es ist halb sechs Uhr in der Früh. Überraschend viele Leute mit jeder Menge Gepäck stehen schon Schlange. Ich wurde davor gewarnt, dass um diese Jahreszeit sehr viel los sei und eventuell einzelne Gepäckstücke erst Tage nach mir in Inuvik ankommen könnten. Es stellt sich jedoch heraus, dass die meisten Leute für den Flieger nach Vancouver warten. So stehe ich mit einem dutzend weiterer Leute vor der Türe zum Rollfeld. Dort wird eine zweimotorige Hawker beladen, zu meiner Freude unter anderem mit meinem Fahrrad. Die freien Sitzplätze sind mit speziellen Packtaschen versehen worden. Der Flieger wird maximal ausgelastet. Der Flug mit Zwischenlandung in Dawson City ist so ruhig, wie es in einer klapprigen Propellermaschine halt geht. Die Zwischenverpflegung besteht aus selbst gebackenem Kuchen und Kaffe oder Tee, irgendwie angenehm persönlich. Der Blick aus dem Fenster zeigt wie verlassen die Gegend ist, nichts als unberührte Natur ist zu sehen.
Bei der Gepäckausgabe in Inuvik lerne ich zwei deutsche Herren kennen. Rainer (Reiseveranstalter, sktouristik.de) und Andy (Tourenführer, kanatabc.com), welche auf Erkundungstour für neue Angebote sind. Das Gepäck kommt sehr schnell und so mache ich mich nach dem kurzen Schwatz daran mein Fahrrad zusammenzubauen. Dabei werde ich von Carla und Irene unterhalten oder eher davon abgehalten. Die zwei First Nations Mädchen löchern mich mit den lustigsten Fragen. Alles passt, die Schaltung und Bremsen funktionieren, die Taschen sind montiert. Auch das sperrige Stadtschild von Solothurn kann ich irgendwie verstauen. Die zwei Mädchen lassen es sich nicht nehmen und winken mir zum Abschied nach. Mein Ziel ist das Arctic Chalet, ein Bed and Breakfast mit kleinen, charmanten Blockhütten. Der Flughafen liegt etwas ausserhalb und so radel ich die ersten 10 km in Richtung Dorf. Die vorbeifahrenden Trucks hupen und winken mir begeistert zu. Bei meiner Ankunft im Arctic Chalet stellt sich heraus, dass sie ausgebucht sind. Aber schnell findet sich eine Lösung und so machen sie mir ein Bett in einem alten Camper bereit. Ich bin ganz foh darüber, denn so werden die Übernachtungen nicht ganz so teuer. Ich lese noch einige Flyers und Infos durch, die ich auf der Anreise gesammelt habe, bevor ich nachmittags um 17.00 Uhr einschlafe.
Gut ausgeruht werde ich kurz nach 6.00 Uhr von den Huskies geweckt. Ich packe alle meine Habseligkeiten aus und überlege mir, was noch für den Start fehlt. Mit knurrendem Magen mache ich mich auf ins Dorf. Das Arctic Chalet liegt knapp 2 Kilometer ausserhalb. Nach einer kurzen Radtour durch das von Industrie geprägte Dorf, genehmige ich mir ein Frühstück im Gallery Cafe an der MacKenzie Road. Dabei lasse ich mir einige Zeit und arbeite an meinem Blog. Mit meinem Knie geht es in der Zwischenzeit sehr gut, nur bei Kälte verspüre ich noch ein Ziehen. Damit ich meinem Knie noch etwas mehr Zeit geben kann, informiere ich mich im Visitor Center was Inuvik so zu bieten hat. Schon im Café merke ich, dass die Preise hier etwas anders sind. Im Supermarkt bekomme ich dies umso mehr zu spüren. Wenn man an den langen und mühsamen Transportweg denkt, sind die Preise jedoch verständlich. Im Gemeindebüro hole ich mir noch eine Mütze und ein Zertifikat, dass ich nördlich des Polarkreis war. Dies sei ein absolutes Muss, meint Judy, die Betreiberin des Arctic Chalet. Die letzte Aufgabe des Tages ist es Bear Spray zu finden. Weder der Supermarkt, noch die Büros von Parcs Canada oder E&R können mir weiterhelfen, so verschiebe ich dies auf den nächsten Tag.
Schon während meiner Vorbereitung für die Reise bin ich auf das warmshowers.org Netzwerk aufmerksam geworden. Es folgt dem Prinzip von Couchsurfing, bloss mit der Zielgruppe Radreisende. Zu meinem Überraschen finde ich darauf jemand, der in Inuvik lebt. Alexandra, sie arbeitet als Volunteer für die Schule. Daher kann sie keine Unterkunft anbieten, empfiehlt mir aber die Vorführung von Alice @ Wunderland der Schule zu besuchen. Es ist eine gelungene Adaption der bekannten Geschichte in die Neuzeit der mobilen Kommunikation.
Den nächsten Morgen verbringe ich mit der Suche nach Bear Spray und werde im Heavy Sports Shop fündig. Gleichzeitig halte ich die Augen offen für kleinere Flaschen Reinbenzin, doch der kleinste Kanister fasst 3.3 Liter. Für meine Flasche, welche drei Deziliter aufnimmt, scheint mir dies etwas übertrieben. Auf der Suche nach dem Abwehrspray, entdecke ich so ziemlich jeden Winkel von Inuvik. Das Dorf zieht sich entlang des MacKenzie River und hat seinen eigenen, komischen Charme. Dieser kommt eher von den Einwohnern, welche alle sehr hilfsbereit und aufmerksam sind, als von architektonischen Highlights oder ähnlichem. So nimmt man diesen Charme nicht unmittelbar wahr, sondern muss schon etwas Zeit im Ort verbringen. Den Nachmittag verbringe ich in der Bibliothek und lese etwas über die Geschichte des Dempster Highway. Anschliessend will ich die Igloo Church besichtigen, angeblich das Wahrzeichen Inuviks. Leider ist diese abgeschlossen und als die Tour starten soll, ist niemand da. Zurück beim Arctic Chalet darf ich meine Flasche für den Kocher von ihrem Vorrat auffüllen. Auf dem Weg zu meinem Schlafplatz kommen mir einige Volunteers entgegen, welche die Sommersaison über für Judy arbeiten. Sie kümmern sich um die Schlittenhunde, Unterhaltsarbeiten an den Blockhütten und helfen bei diversen Abenteuertouren. Im Gespräch fragen Sie mich wohin die Reise fuhren soll. Als ich sage: “Ushuaia”, antworten sie mit einem Lachen. Sie erklären, dass die eine Husky Dame, die sich gerade zufrieden von mir streicheln lässt auf den Namen Ushuaia hört.
Da ich mittlerweile alle Utensilien und den Proviant für die Tour beisammen habe, entschliesse ich mich am nächsten Tag zu starten. Erneut beginnt die Packerei. Es dauert eine Weile bis ich das Gefühl habe, dass alles einigermassen sinnvoll verstaut ist. Rund ums Arctic Chalet ist es ruhig geworden. Es ist Mitternacht und die Sonne scheint, ich halte den Moment mit einem Schnappschuss fest.
Am Sonntagmorgen komme ich nur langsam voran. Olaf, Judy’s Mann, informiert mich über die Wetterprognosen und will noch das Eine oder Andere über meine Tour erfahren. Dabei stossen neugierige Gäste dazu und deshalb zieht es sich etwas in die Länge. Beim Check-Out erzählt Judy über ihre Erfahrungen mit dem Dempster Highway und fragt nach meiner Ausrüstung bezüglich Bären. Ich erzähle über das Gelesene, den Bärenspray und die Bärenglocke. Darauf schildert sie ihre Begegnungen mit Bären. Alle seien ruhig und angenehm verlaufen. Nun muss ich los, denn um 11.00 Uhr habe ich mit Alexandra abgemacht rund um den Boot Lake zu wandern. Wir plaudern über Inuvik, Radtouren und alles mögliche. Nach der Runde um den See lädt sie mich auf einen Tee ein. Da das Wetter nicht sehr berauschend ist, nehme ich dankend an. Wir verlieren uns im Gespräch und plötzlich ist es 15.00 Uhr. Ich verabschiede mich und werde noch eingeladen im September in Vancouver vorbei zu schauen, wenn Alexandra ihr Studium fortsetzen wird. Bevor es richtig losgeht mache ich noch einige Besorgungen, da ich wirklich genug Proviant mit dabei haben will. In erster Linie kaufe ich Schokolade. Diese soll als Motivation für unterwegs dienen. Auf dem Parkplatz packe ich ein “Fräss-Päckli”, dass ich im Visitor Center abgeben kann und von Touristen in Eagle Plains für mich hinterlegt werden soll. Sobald dieses aufgegeben ist, geht die Reise gen Süden los.