Feuer überall
Der Rauch ist zwar nicht mehr sichtbar, doch liegt noch immer der Duft in der Luft. Trotzdem mache ich Halt um mein Nachtlager aufzuschlagen. Da mir zehn US Dollar für eine Dusche im RV Park in Tok echt zu viel war, spaziere ich nun im Adamskostüm mit Tuch, einem Ortlieb-Wasserbeutel und Bear Spray zu einer hochgewachsenen Birke und gönne mir eine improvisierte, kalte Dusche. Umso wärmer und angenehmer fühlt es sich danach in meinem Schlafsack an.
Am Morgen ist die Luft rein, wahrscheinlich hat bloss der Wind gedreht. Kurz vor Northway Junction eröffnet sich mir ein unglaublicher Anblick. Unweit des Ortes lodern die Flammen und der Horizont wird von riesigen Rauchwolken verdeckt. In den schier endlosen Weiten sehe ich drei, der aktuell über 300 aktiven Brandherde in Alaska. An der Tankstelle erkundige ich mich nach der aktuellen Lage. Mit gelangweilter Stimme erklärt mir die Frau, dass der Brand gestern noch unter Kontrolle schien und jetzt nur noch einen Kilometer entfernt ist. Ein älterer Mann kommt aus dem Schnapsladen nebenan und meint er würde jetzt zum freiwilligen Trupp stossen. Entlang des Highways besteht jedoch keine Gefahr, also kann ich nach einem Kaffee weiterfahren. Die Strasse ist mitunter vom besten, was ich bisher in Kanada und Alaska erlebt habe. Ich geniesse es und komme gut voran.
Der Abend bricht herein und bei einem Fotohalt sehe ich Bewegung in meinem Augenwinkel. Eine Moose-Kuh und ihr Kalb überqueren die Strasse. Der Anblick dieser stolzen, stämmigen Tiere lässt mich vor Ehrfurcht erstarren. Von dieser Begegnung angestachelt, hoffe ich etwas später am Hidden Lake weitere Wildtiere zu erspähen. Es dämmert bereits, dennoch will ich mir die kurze Wanderung nicht entgehen lassen. Nach einigen Minuten beschleicht mich trotz Bärenspray ein beklemmendes Gefühl. So trällere ich willkürlich Teile von Liedern vor mich hin, um allfällige Tiere über meine Gegenwart in Kenntnis zu setzen. Am See angekommen, schaue ich eine Weile zwei emsigen Bibern zu, wie sie Weichholz zu ihrem Bau schaffen. Am weiten Ufer segelt ein Bald Eagle durch die Baumkronen.
Das Passieren der Grenze zurück nach Kanada verläuft ganz entspannt. In Beaver Creek treffe ich drei Gleichgesinnte, zwei Asiaten und ein Belgier. Bart, der Belgier, spielt passend zum Happening “Bicycle Race” von Queen. Während sie pausieren, mache ich mich auf. Das Stück des Alaska Highway, welches von der Ortschaft Destruction Bay unterhalten wird, liegt vor mir. Es macht seinem Namen alle Ehre. Viele Abschnitte sind nicht asphaltiert und geprägt von Schlaglöchern und scharfen Kanten. Ich bange um meine Reifen, aber sie scheinen die Strapazen auszuhalten. Am Abend schlägt das Wetter um und die Wolken sorgen für eine Dunkelheit, die ich mir nicht mehr gewohnt bin. Im strömenden Regen finde ich lange keinen vernünftigen Platz um zu campen. Letzten Endes werde ich in den Burwash Heights, einer kleinen Siedlung, fündig.
Bäääng!!!
Mit einem lauten Knall werde ich aus dem tiefsten Schlaf geweckt. Mein Herz rast, hellwach versuche ich den Ursprung für den Knall zu verstehen. War dies ein Warnschuss aus einer Schrotflinte? Ich rufe aus dem Zelt: “Ok, ok, I am already packing up. Alright?” Es herrscht absolute Stille. Langsam dämmert es mir, ich bin nicht mehr in Alaska. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor meinem Zelt ein Halbwilder mit einer Schrotflinte steht, ist gleich null. Was kann es dann gewesen sein? Ohh, oohhhh. meine Reifen! Mein Puls ist wieder in einem normalen Bereich. Verwundert stehe ich vor meinem Fahrrad und sehe auf dem platten Hinterreifen ein gleichmässiges Muster rundherum, auf beiden Seiten.
Ich packe zusammen und buckle das meiste Gepäck, um keine Last auf dem Hinterrad zu haben. Zu fuss gehe ich den einen Kilometer bis zum Kluane Museum und schiebe mein Fahrrad neben mir her. In der Hoffnung einer der anderen Radfahrer würde hier vorbeikommen. Dann Rad raus, Reifen und Schlauch weg, Felge inspizieren und Schaden analysieren. Erleichtert stelle ich fest, die Felge ist in Ordnung. Auf der einen Seite ist der Reifen mehrfach gerissen, an einer Stelle über 5cm lang. Der Schlauch hat einen entsprechend grossen Riss. Auf der Suche nach nützlichem Material finde ich in meinem Gepäck: Klebeband, Nadel, Faden, mein Flick- und Werkzeug. Der Schlauch ist schnell repariert, aber was mache ich bloss mit dem Reifen. Die Ortschaft hat mehr Biber als Einwohner, einen Ersatz werde ich erst in Whitehorse finden. Ich entscheide mich die Innenseite mit mehreren Lagen Klebeband zu versehen und dann durch die Reifenwand und das Klebeband die Risse zu nähen. Mittlerweile sind die drei anderen Radfahrer bei mir angelangt, natürlich hat keiner einen Ersatzreifen dabei. Sie legen alle ihre Stirn in Runzeln ob dem Anblick meines Hinterreifens. Sie unterhalten mich für eine Weile, bevor sie weiterfahren. Die Reparatur nimmt einige Stunden in Anspruch. Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Ich atme tief ein, halte den Atem und setze mich aufs Rad. Ich trete in die Pedale und fahre einige Meter, mein Brustkorb hält nach wie vor die Spannung. Mit dem nächsten Atemzug und dem frischen Sauerstoff fühle ich mich einige Kilogramm leichter, der Reifen hält.
Sonnenschein und gute Laune
Voll beladen geht die Reise weiter. Diese Aktion hat doch einige Energie geraubt. In Destruction Bay gönne ich mir eine Belohnung und kehre im Diner ein. In Bart’s Gesellschaft geniesse ich einen Burger mit Pommer, fünf Tassen Kaffee und zum krönenden Abschluss Bananenbrot. Es gesellen sich immer mehr Radfahrer an unseren Tisch. Irgendwo muss ein Nest sein, sechs Radler versammelt an einem solch verlassenen Ort, unglaublich. Zum Verdauen des deftigen Abendmahls fahre ich mit Bart entlang des malerischen Kluane Lake. Wir scherzen, geniessen die Landschaft und feiern die Freiheit. Am See finden wir eine zerfallene Hütte, diesen Ort mit Aussicht auf einen Gletscher nennen wir für die Nacht unser zu Hause.
Mit Bart geht die Fahrt bei bester Laune, trotz heftigem Gegenwind weiter. Wir singen, lachen und freuen uns über die glücklichen Umstände in unseren Leben. Auf den 130 Kilometer von Burwash Landing nach Haines Junction muss ich lediglich einmal den ledierten Reifen flicken. In Haines Junction trennen sich unsere Wege. Er fährt weiter nach Whitehorse, welches ich eigentlich auslassen wollte. Ich kann mein Fahrrad beim Büro von Parcs Canada einstellen und trampe nach Whitehorse um Ersatzreifen zu besorgen. An der Tankstelle ist es ein leichtes die Leute anzusprechen. Nach wenigen Versuchen klappt es. Eva und Pascal aus Ittigen nehmen mich mit. (Danke vielmals!) Die Fahrt vergeht wie im Flug, da wir mit unseren Reiseerlebnissen bestens unterhalten.
Whitehorse
Bei der Touristen Information lasse ich mich absetzen. Nicht ganz zufällig treffe ich hier auf Hauke und Hanna, welche ich in Dawson City kennenlernte. Ebenfalls mit dabei ist Dan aus Brighton. Nach kurzer Recherche, geht es zum Fahrradladen. Vom Schwalbe Support habe ich die Empfehlung erhalten vom Marathon Mondial auf den Marathon Plus zu wechseln, da dieser ein stärkeres Seitenband hat. Bei Cadence Bicycle dem kleineren, aber richtig charmanten Laden findet Erika zwei entsprechende 26 Zoll Reifen, welch ein Glück. Wenn ich schon in Whitehorse bin, lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, relativ günstig meine Vorräte aufzustocken. Für das anschliessende Barbecue leiste ich mir ein feinstes Steak. Den Abend verbringen wir auf dem Robert Service Campground am Lagerfeuer. Das leicht blutige Steak zergeht mir auf der Zunge, ein Traum.
Insgesamt verbringe ich zwei Tage in Whitehorse. Die Annehmlichkeiten einer Stadt geniesse ich genauso wie die Dusche abends. Ich schaue mir die paar Sehenswürdigkeiten an, während Hauke und Hanna versuchen ihr Auto zu verkaufen. Bevor es heisst auf wiedersehen zu sagen, stopfen wir uns bei Domnio’s Pizza den Magen voll. Der Weg zurück nach Haines Junction ist deutlich beschwerlicher. Im Total warte ich etwa drei Stunden an einer Tankstelle ausserhalb und der Verzweigung zwischen Klondke und Alaska Highway. Diese drei Etappen nach Haines Junction, schaffe ich dank verschiedenen netten Leuten, die mich mitnehmen.