Kitwanga scheint sich selbst aufgegeben zu haben. Die einst so prächtigen Totempfahle stehen schräg in der Landschaft, nebenan ergeht es der verlotternden Missionarskirche nicht besser. Mit Kitwanga habe ich das südliche Ende des Stewart/Cassiar Highway erreicht. Ich biege Richtung Osten auf den Yellowhead ein. Der Verkehr wird deutlich mehr. Die Autos überholen mich nun im Takt weniger Sekunden, im Yukon konnte ich die Autos pro Stunde meist an meinen Händen abzählen. Auch etwas ungewohnt, die Autobahn führt nicht mehr mitten durch jede Ortschaft.

Seeley Lake bietet einen schönen Blick auf die Seven Sisters und lädt mich zu einer Rast ein. Ich schreibe an meinem nächsten Bericht für den Blog in dieser schönen entspannten Atmosphäre. Eine etwas ältere, pummelige Amerikanerin kommt auf mich zu und fragt nach dem WI-FI. Ich finde es belustigend, dass wir schon soweit sind, dass man einen Computer nur noch in Verbindung mit der grossen weiten Welt benutzen kann. Enttäuscht zottelt die Dame von Dannen.

Smithers

Der erste Eindruck von Smithers bestätigt die vielen positiven Bemerkungen, welche mir unterwegs zu Ohren kamen. Hier will ich etwas sitzen bleiben, guten Kaffee schlürfen und Entspannen. Die Empfehlung der zwei Schweizer Radfahrer bezüglich Tim Hortons und den Timbits kommt mir in den Sinn, wenn ich den Schriftzug grosse neben der Strasse sehe. Natürlich kann ich der süssen Verführung nicht trotzen. Die kleine Schachtel mit zehn Teigbällchen in Golfballgrösse kostet zwei Dollar. Die Timbits gibt es mit unterschiedlichen Lasuren und Füllungen, beste Radlernahrung.

Ich übernachte etwas ausserhalb in Telkwa bei John, einem Warmshowers Mitglied. Er ist zwar nicht zu Hause, aber eine kleine Hütte steht für Radreisende 24/7 offen und man kann sich sein Bett aussuchen. Dazu gibt es eine warme Dusche und die Möglichkeit die Wäsche zu machen. Ich sehe John erst am nächsten Mittag. Er schaut kurz herein und meint, falls ich ein Auto benötige der Schlüssel liege bereit. Ich bin sprachlos. Wir verabreden uns für abends auf ein Bier. 

Am Nachmittag erhalte ich Besuch von Jason, Emilia und Tyler. Sie wohnen in Telkwa und haben meinen Helm mitgebracht. Nach einer Tour rundum den Ort. Zeigt mir Tyler in ihrem Garten wie schnell er rennen kann. Oh Mann, dieser Junge ist schnell und hat eine unglaubliche Ausdauer. Seine Mutter erzählt mir, dass er von ihrem Campingurlaub nach Hause kam und nur noch davon sprach auch einmal eine Radtour zu machen. Davor will der vierjährige Bub ein Marathon laufen. Nach einer ermüdenden Einheit mit dem Energiebündel auf dem Trampolin bin ich hinüber. Es ist Zeit auf Wiedersehen zu sagen. Den Abend lasse ich bei Bier und Geschichten mit John auf seiner Terrasse ausklingen.

First Nations am Yellowhead

Leider sind nicht alle Begegnungen so positiv. Auf dem Campground in Burns Lake treffe ich auf eine Gruppe betrunkener First Nations. Leider sind dies die einzigen Ureinwohner aus der Region mit denen ich in Kontakt komme. Ich geniesse die Umgebung und das erfrischende Bad im See. Es war eine anstrengende Fahrt und so gehe ich früh schlafen. Der Morgen beginnt früh und alles ist schnell gepackt. Bevor ich jedoch den Platz verlasse, torkeln schon wieder die ersten Jugendlichen auf dem Platz herum. Es schockiert mich, welch extremen Unterschiede ich zwischen den Clans hier und jenen im Norden erlebe. Ich spreche die Damen in der Touristen Information darauf an, sie scheinen nicht recht zu wissen, was sie sagen sollen. Ich verlasse den Ort und hoffe, dass ich bloss die wenigen schwarzen Schafe einer intakten Gesellschaft gesehen habe.

Die Sonne strahlt mit mir um die Wette. Ich komme gut voran und meine Vorfreude auf die Rockies wird täglich grösser. Um die Mittagszeit wird es so warm, dass ich mir eine Pause in einem Restaurant gönne. Nach kurzem Smalltalk mit der Familie am Tisch nebenan kommt mein gutportionierter Teller. Ich habe gerade einen gierig gehäuften Löffel in meinen Mund geschoben, als die Mutter der Familie an mir vorbei geht und meint, “Dein Mittagessen ist bezahlt.” Ich kriege gerade noch ein undeutliches Danke über meine Lippen, bevor sie aus der Tür verschwindet.

Prince George

Die Fahrt hinein nach Prince George kommt mir surreal vor. Es ist die erste richtige Stadt, in die ich mit dem Fahrrad hinein fahre. Die ersten Kilometer sehe ich links und rechts ausnahmslos nur Einkaufshallen und Autohändler. Die einzige wahre Attraktion der Stadt mag das Railway und Forestry Museum sein. Es ist in der Tat spannend und eindrücklich, die restaurierten Lokomotiven und Waggons zu sehen. Eines der Ausstellungsstücke diente als VIP Empfang an der Weltausstellung 1986 in Vancouver. Auch blaublütige, wie Prince Charles und Lady Di sollen hier an meiner Stelle gesessen haben. Doch der Glamour dieses Waggons ist schon sehr verblasst. Der ganze historische Bahnhof des Ortes Penny wurde auch hierher gebracht.

Prince George scheint wirklich nicht viel mehr zu bieten zu haben. Etwas unrühmliche Bekanntheit hat die Stadt als kriminellste Ortschaft in Kanada erlangt. Ich frage mich jedoch, in welchem Bereich die Ortschaft im Vergleich in den USA abschneiden würde. Meine müden Beine und der Anblick des zu erklimmenden Anstieges ausserhalb von Prince George bewegen mich dazu, die erste Nacht seit Vancouver in einem Hostel zu verbringen.

Der Plan ist klar, etwas Tagebuch schreiben, Vorräte auffüllen und dann möglichst schnell raus aus der Stadt. Wie immer kommt es anders. Das Schreiben dauert etwas länger und als ich nach dem Einkaufen zu meinem Fahrrad zurückkomme, sehe ich dort jemanden etwas kritzeln. Der Herr Mitte fünfzig dreht sich um und drückt mir den Zettel mit seiner Adresse in die Finger. “Ist das dein Fahrrad? Kann ich dich zum Essen einladen? Magst du Lachs?” Von mir gibt es drei Mal ein Ja, wenn die ersten zwei auch etwas zögerlich kamen. Paul ist aktuell alleine zu Hause, da seine Frau Familie besucht. Er lädt auch seine Kumpel Ehan und Wayne zum Essen ein. Als ich etwas Unsicherheit bezüglich der Zubereitung des frischen Lachs wahrnehme, ergreife ich die Möglichkeit und kümmere mich darum. Filetieren, leicht würzen und dann wandert er in den Ofen. Angesichts, dass so viel Lachs aus Alaska und Nord-West-Kanada kommt, habe ich schon einige Male vergebens nach einem Restaurant gesucht, welches den Lachs nicht in der Fritteuse vergewaltigt. Es ist ein lustiger Abend mit den drei Jungs im besten Alter. Ich bin dann auch willkommen zu Duschen und im Gästezimmer zu übernachten. (Danke, Paul!)

Früh beginnt der nächste Tag, da Paul arbeitet. Ich gönne mir noch einen Donut und Kaffee im Tim Hortons, sodass ich nicht mitten in der morgendliche Rush Hour losfahren muss. In Prince George habe ich mir einen Rückspiegel gekauft. Es ist etwas ungewohnt und ich erwische mich immer wieder, wie ich unnötigerweise hinter mich blicke. Die Landschaft wird etwas hügeliger und die Gipfel am Horizont scheinen immer weiter in den Himmel zu wachsen. Die berühmten kanadischen Rocky Mountains liegen vor mir. Die Tage werden nun merklich kürzer und auf der Suche nach einem Schlafplatz merke ich, wie sich das Fahrrad ganz anders anfühlt. Ein schleichender Plattfuss kündigt sich an. Der Pudren Lake Recreational Park kommt mir da ganz gelegen. Nachdem ich 18$ für den Zeltplatz abdrücke, koche ich meine Portion Pasta und gehe schlafen. Um den platten Hinterreifen kümmere ich mich erst am nächsten Morgen. Am Reifen ist dann auch nichts zu sehen und beim Schlauch hilft erst das Wasserbad, ein kleines Loch zu entlarven. Bevor es wieder auf die Strasse zurück geht, will ich einen Blick auf den See werfen. Es sieht ganz nett aus, aber es hat mir zu viele Leute. Also geht es bei bestem Wetter wieder los.

Riesen, gibt es wirklich!

Paul aus Prince George hat mir den Rat gegeben beim Ancient Forest Halt zu machen. Diesem Rat leiste ich auch Folge. Bäume, die älter als zweitausend Jahre sein sollen, wurden hier zufälligerweise beim Rekognoszieren zum Abholzen gefunden. Dies sprach sich schnell herum und das Engagement von einer breiten Masse machte es möglich diesen Wald zu schützen und zu bewahren. Nur einige hundert Meter von der Autobahn entfernt betrete ich eine verzauberte Welt. Es ist eine Landschaft, wie wir Sie für uns normalerweise nach den Worten von Autoren, wie James Cameron (Avatar) oder J.R.R Tolkien zusammen spinnen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ich den Namen Baumbart auf einem Schild lese, als ich bei einer besonders prächtigen Zeder ankomme. Wer sagt es gibt keine Riesen, war noch nie hier, im Ancient Forest. Die Bäume weisen einen Durchmesser von bis zu 8 Meter auf. Ich stolpere mehrmals, weil ich mit hängendem Kiefer und Blick in die Baumkronen unterwegs bin. Einfach nur, WOW! Auf den weiteren Metern im goldenen Abendlicht schweifen meine Gedanken in die nähere Zukunft und ich frage mich, wie wird es im Redwood sein.

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