Die Olympic Halbinsel bildet die nordwestliche Ecke vom Festland der Vereinigten Staaten. Die Berge lassen sämtliche feuchte Luft vom Pazifik auf dieser Halbinsel ausregnen und so entstand hier ein Regenwald mit unerwarteter Artenvielfalt. Um mir einen Überblick zu verschaffen, entscheide ich mich den Anstieg nach Hurricane Ridge in Angriff zu nehmen. Es ist eine atemraubende Fahrt hoch durch saftig grüne Wälder. Der Boden ist bedeckt mit grünem Farn und die Baumstämme mit Moos überwachsen. Immer wieder durchdringen einzelne Sonnenstrahlen dieses Spektrum an Grün. Während der ersten Stunde im Aufstieg lenkt dieses Schauspiel von den Strapazen ab. Dann beginnen meine Beine immer schwerer zu werden und der Gipfel scheint noch sehr weit weg. Durchhalten ist angesagt. Ich beisse schon fast in die Lenkerstange, als mich rutschende Kieselsteine ablenken. Nur wenige Meter über mir steht ein Hirsch und kaut gelangweilt die saftigen Gräser. In stoischer Ruhe schaut er mir zu wie ich anhalte, meine Kamera auspacke und von ihm einen Schnappschuss mache. Noch nie habe ich so zutrauliches Kleinwild erlebt. Einige Serpentinen später erkenne ich Antennen auf einem Gipfel, dies lässt mich hoffen bald oben zu sein. Es dauert eine weitere halbe Stunde bis ich erschöpft mein Fahrrad bei der Ranger Station parkiere. Der Ausblick ist unbeschreiblich. Im Norden sind Vancouver Island und all die Kanalinseln zu sehen. In alle anderen Richtungen türmen sich die Gipfel um mich. Im Osten thront der in weiss gekleidete Mount Olympus. Die stundenlange Gipfelfahrt hatte ich deutlich unterschätzt. Nachdem ich mich an der Aussicht satt gesehen habe, starte ich die rasante Abfahrt. Die engen Kurven machen grossen Spass, dank dem schweren Gepäck komme ich auch schnell auf Geschwindigkeit. Die ersten zwei oder drei Minuten muss ich mich hinter einem schleichenden Auto beherrschen, ehe ich es in einer breiten Kurve aussen rum überholen kann. Jetzt geht es ungebremst mit pfeifendem Wind in den Ohren zurück nach Port Angeles. Auf dem letzten Abschnitt gilt es sich wieder zu zügeln, die nasse Strasse gepaart mit dem eisigen Wind im Schatten könnte für Glätte sorgen. Alles läuft glatt und ich komme sicher und heil wieder unten an.

Die Nacht verbringe ich nochmals in Port Angeles. Zuerst gehts zum McDonald’s auf einen Kaffee. Wobei der Kaffee eigentlich die Nebensache ist und ich mich online über die Möglichkeiten für die nächsten Tage informiere. Vor einiger Zeit habe ich eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier erhalten. Zu Beginn meines Abenteuers bin ich auf dem Alaska Highway einem Motorradfahrer begegnet. Die Tankanzeige seiner Harley war schon tief im roten Bereich war. Max war es sichtlich unwohl. Der Abschnitt des Alaska Highways war komplett aufgerissen und schlimmer als die meisten Teile des Dempster Highway. Er war froh zu hören, dass es nicht mehr all zu weit war bis die Strasse besser wird und auch die nächste Zapfsäule in seiner Reichweite liegt. Einige Wochen später liess er sich durch mein Abenteuer inspirieren, seinen alten Drahtesel aus dem Keller zu holen und die Küste von Oregon hinunter zu radeln. Nun zurück zur Gegenwart, seit dieser fünf minütigen Begegnung ist er, einer meiner treusten Verfolger auf Facebook. Seine Geburtstagsfeier ist in sechs Tagen, doch bis Portland ist es eine Strecke von rund 500 Kilometer. Kurzerhand entscheide ich mich die Strecke mit all ihrer natürlichen Sehenswürdigkeiten in dieser Zeit zu schaffen und sage ihm zu.

Die Nacht verläuft sehr ruhig mit Ausnahme eines röhrenden Roosevelt Hirschs der auf Brautschau ist. Beim Zusammenpacken schwirrt ein leuchtgrüner Kolibri ums Zelt. Ich nehme mir einen Moment um ihn zu mustern. Sein Federkleid glänzt am Bauch in einem schönen Weinrot. Ich erinnere mich an meinen Zeitplan und versuche mich nicht weiter ablenken zu lassen. Die Fahrt an die Pazifikküste ist mühsamer als erwartet. Oftmals hat der Highway 101 keine oder kaum eine Schulter, geschweige denn einen Radstreifen. Dies in Verbindung mit den rasenden Holztransportern lässt mich die schöne Umgebung nicht ganz so geniessen wie gewollt. Zum Glück bieten die Stopps entlang der Strecke genug Gelegenheiten, um in diese scheinbar unberührten Gebiete zu geniessen. Am frühen Abend komme ich in Forks an, dieser Ort wurde damals über Nacht bekannt, als Schauplatz der Twilight Bücher. Alles bis zum Feuerholz wird mit Twilight beworben. Ansonsten scheint der Ort eher trostlos und ruhig, halt passend für eine Vampir-Familie, die sich zurück ziehen und nicht auffallen will. Ich zieh mich dann für die Nacht etwas südlich vom Ort zurück und schau vor dem Einschlafen, dem Schauspiel der Sterne zu.

Früh erwache ich und will heute ordentlich Strecke machen. Das Zusammenpacken geht ganz flott. Um die nötige Energie für einen langen Tag zu haben, leere ich das Müsli mit Yoghurt in Windes Eile. Schwungvoll steige ich aufs Rad und los geht es. Der Verkehr ist deutlich weniger als noch auf der Nordseite der Halbinsel. Einige Kilometer führt die 101 durch den grünen, grüneren, am grünsten Regenwald, den man sich vorstellen kann. Das Rad parkiere ich am Strassenrand und balanciere über einen frisch gefallen Baumstamm etwas von der Strasse weg. Alles um mich herum ist saftig grün und voller Leben. Der Boden ist mit Moos bedeckt und sollte nicht betreten werden. Allgemein versuche ich auf der Suche nach einigen Motiven möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Die Küste ist hier nicht zugänglich, da einige Indianerreservate entlang des Strandes sind.

Als die Strasse immer näher ans rauschende Meer kommt, umso mehr lichtet sich der Regenwald. Innerhalb kürzester Zeit liegen hier die schönsten Strände mit dem grünen Regenwald dahinter. Leider wird der Eindruck noch durch das gräuliche Wetter verfälscht. Kurz vor der Mittagszeit ist es dann soweit und die Sonne drückt durch die Wolken hindurch. Beim nächsten Trampelpfad stoppe ich, um an einem verlassenen Traumstrand zu rasten. Der Pfad führt mich an ein Flussdelta, welches voller Schwemmholz ist. Ich klettere über die verkeilten Baumstämme, um an den Strand zu gelangen. Vor mir liegen einige Teiche, die durch kleine Sanddünen vom Meer getrennt sind. Während der Flut sind diese Teiche kurz mit dem grossen Salzgewässer verbunden. Nur wenige Meter im Meer stehen schroffe Felsen. Ein Exemplar zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Meine Sachen lasse ich am Strand und wate durchs kühle Nass, um auf den vier Meter hohen Felsen zu steigen. Es scheint, als ob Mensch und Zeit diesen Strand verschonen und dieser so wild bleibt. Ich kann es kaum beschreiben, es ist eine Art Glücksgefühl gepaart mit tiefster Bewunderung für diese intakte Oase der Wildnis.

Nach dieser längeren Pause am Strand scheint nun der Wind etwas mehr in meiner Richtung zu gehen. Die Kilometer purzeln förmlich so dahin. An der Verzweigung zu der Hall of Mosses bleibe ich stehen und wäge ab, ob die 34 zusätzlichen Meilen drin liegen. Den Rhythmus auf dem Rad will ich nun nicht brechen und fahre weiter südwärts. Es fällt einem nicht immer leicht diese Sehenswürdigkeiten links liegen zu lassen. Doch alles sehen kann man leider nie. Über fünfzig Kilometer fahre ich, ehe ich für einen Abendspaziergang am Lake Quinault wieder Halt mache. Flussotter, Fliegende Eichhörnchen, Spechte und vieles mehr soll man hier mit etwas Glück sehen. Ich habe lediglich einige Krähen und Eichhörnchen ausmachen können. Ob die Eichhörnchen fliegen können, weiss ich nicht, sie sahen zumindest nicht anders aus, als alle anderen bisher. So glaube ich nicht. Die Bäume sind mit “Old men’s beard” behangen. Die Strahlen der Abendsonne lassen diese Gewächse goldig erstrahlen. Zusammen mit dem Plätschern des Flusses kommt es einem vor, wie in einem Märchenwald.

Das Gehen macht meine Beine wieder frisch und bereit noch einige Kilometer vor dem Sonnenuntergang zurück zu legen. Es nachtet schon, wenn ich den düster wirkenden Ort, Tupitulips, verlasse. Bei der Suche nach einem Schlafplatz, werde ich neben einer Seitenstrasse fündig. Ein Schild informiert über ein privates Naturschutzgebiet, welches nachts mittels Barriere geschlossen wird. Heute habe ich 137 Kilometer runter gestrampelt. Es ist nun einiges schwieriger so lange Distanzen an einem Tag zurückzulegen, da die Sonne sich immer früher setzt. Die Routine sitzt, der Kocher ist schnell aufgestellt und in wenigen Minuten sind die Nudeln al dente. Das Zelt steht, mit einem Lappen wasche ich mich gründlich und verkrieche mich im Schlafsack. Der Lärm vom Highway 101 hat durch die Bäume einen angenehm gedämmten Pegel. Es scheint keine Minute zu dauern bis ich einschlafe. Die Nachtruhe hält allerdings nicht allzu lange an. Morgens um drei Uhr fährt der erste Sattelschlepper über die Nebenstrasse, hält an, der Fahrer steigt aus, öffnet die Schranke ins Naturschutzgebiet, rollt einige Meter weiter und schliesst die Schranke wieder. Offensichtlich wird gerade geholzt in diesem Gebiet. Es ist weniger der Lärm der mich viertelstündlich weckt, als die Vibrationen, wenn die Zugmaschine nur zwei Meter neben meinem Zelt vorbei rollt. Ich entscheide mich dennoch bis zum Morgengrauen auszuharren und so gut wie möglich zu erholen.

Beim Abbrechen meines Camps nimmt sich ein Fahrer eines Holztransporters eine Minuten für einen kurzen Schwatz. “Ging es einigermassen mit Schlafen?” fragt er mit einem freundlichen Lachen im Gesicht. Sie würden so früh beginnen um dem Verkehr auf den Strassen auszuweichen. Der erste Ort, den ich am nächsten Tag passiere, scheint eine einzige Baustelle zu sein. Es ist eine Herausforderung mit dem beladenen Fahrrad sich durch das Chaos zu navigieren. Im Ort setzte ich mich kurz in ein Fast Food Restaurant mit drahtlosem Internetzugang. Online beantworte ich wieder mal einige Nachrichten aus der Heimat und schaue kurz auf den Facebook Messenger. Max hat auf meine Zusage zu seiner Party bloss mit der Frage nach meiner Emailadresse geantwortet. Kaum habe ich ihm diese gesendet macht es bing und ich habe eine neue Nachricht im Postfach. Es handelt sich um eine Buchungsbestätigung für das Bike Friendly Hostel in Portland. Ab Freitag ist dort für drei Nächte ein Bett für mich reserviert. Bezahlt ist schon von Max. Wow, ich kann es kaum fassen. Doch Moment mal, Freitag? Das heisst für mich Gas geben, es sind über zweihundert Kilometer die bis morgen Abend gestrampelt werden müssen. Da bleibt leider keine Zeit mehr um viele Dinge anzuschauen. Wobei, so viele Highlights gibt es auf der direkten Strecke zum Glück nicht. Die Routenplanung nach Portland ist schnell gemacht und relativ einfach. Bevor ich aufbreche, informiere ich mich noch über meinen aktuellen Aufenthaltsort. Das einzig wirklich nennenswerte ist Aberdeen’s berühmtester Sohn. Dies ist ohne Frage Kurt Cobain, der legendäre Frontmann von Nirvana. Es soll einige Leute geben, die bei seinem Geburtshaus nach wie vor Totenwache für den genialen Musiker, mit dem tragischen und verfrühten Lebensende, halten. Ich versuche einfach nur möglichst schnell aus der Industriestadt raus und weiter zu kommen.

Es dauert ein ganzes Stück bis die Strecke angenehmer wird. Entlang eines wilden Flussbetts führt ein Weg durch idyllische Auen. Viele verschiedene Vögel sind rund um dieses Wasser zu sehen und zu hören. Die Strasse führt über einige Hügel in eine offene, weite Landschaft. Die Umgebung ist nun geprägt von vielen Farmen. Die meisten haben noch ein zwei Schuppen, einen grossen Wassertank und ein Windrad daneben. In meinem Kopf spielt auf einmal der Song “Save me” von Remy Zero. Dies weil mich die Umgebung stark an “Smallville” aus der gleichnamigen Serie erinnert. Eine halbe Stunde später muss ich schmunzeln, weil ich an der High School von Oakville vorbei komme. Es läuft ein Football spiel und die Heimmannschaft ist in roten Trikots mit weissen Nummern gekleidet. Das wars dann eigentlich mit den Parallelen zur Fernsehserie. Denn der Ort selbst scheint seine besten Tage hinter sich zu haben. Offensichtlich gibt es hier nur noch die Holzwirtschaft, welche den Ort am Leben erhält. Am Abend erspar ich mir für einmal das Kochen und gönn mir ein Footlong Sandwicht im Subway, mit allem und allem extra. Das Brot wird zur Beilage, da so viel Salat, Gurke, Oliven und so weiter drauf ist. Draussen ist es schon dunkel. In der Toilette kann ich mich einschliessen und ziehe erstmal blank. Den Waschlappen hatte ich schon im Rucksack mit dabei. So erspar ich mir das Waschen bei Wind und Kälte. Etwas zaghaft schwing ich mich dann wieder aufs Rad und suche eine Platz für die Nacht.

Das Wetter ist eigentlich ganz gut für die Weiterfahrt. Es ist grau, nicht zu heiss und nicht zu kalt. Es sind noch etwas über hundert Kilometer zu machen bis nach Portland. Die ersten fünfzig fühlen sich öde und komisch an. Ich bin gelangweilt und freue mich auf das richtige Bett heute Abend im Hostel. Auf halber Strecke komme ich durch die Stadt Longview. Innerhalb weniger hundert Meter rolle ich zuerst am Gericht, einem Kautionshändler, dem Staatsgefängnis und einem Bestatter vorbei. Irgendwie passend, doch die nächsten Blocks begleitet mich ein komisch unangenehmes Gefühl, ehe ich in ein umtriebigeres Geschäftsviertel einbiege. Vor mir türmt sich die grosse “Lewis und Clark” Stahlbrücke. Ich befinde mich wieder am mächtigen Columbia, dieser Fluss scheint mich nicht loszulassen. Hier bildet dieser die Grenze zwischen den Staaten Washington und Oregon. Auf der Brücke ist kaum Platz für Radfahrer und der Platz, der uns bleibt, ist übersät mit Holzsplitter, Nägel und Müll. Es bleibt mir keine Zeit darauf zu achten was sonst noch so auf meiner Spur liegt, denn die vorbeiziehende Holztransporter erfordern auch höchste Konzentration. Einmal festen Oregon-Boden unter den Rädern atme ich tief durch. Bis Portland kann ich nun einfach dem Fluss südwärts folgen. Leider ist der Himmel immer noch stark bewölkt und es bietet sich kaum Weitsicht. Dies finde ich besonders schade, als ich das beschauliche St. Helens durchquere. Denn vom weltberühmten Vulkan im Osten ist nichts zu sehen. Als ich mein Tagesziel erreiche, muss ich mich etwas an die Radwege gewöhnen. In Portland gibt es Strassen, auf denen sich die Radspur links von Autospuren befindet. Bei Dunkelheit irre ich zwei Mal um den Block, ehe ich das Hostel finde. Im Hostel ist es relativ ruhig. Am Esstisch lerne ich Joe, einen Briten, und Tiny, eine Belgierin kennen. Joe ist auch auf einer Radreise. Ganz leicht bepackt fährt er mit dem Rennrad von Vancouver nach San Diego. Tiny wohnt in Montreal und ist zur Zeit in Portland für eine einmonatige Ausbildung zur Fahrradmechanikerin. Obwohl ich sehr müde bin, sitzen wir noch eine ganze Weile beisammen und quatschen. Gemeinsam rätseln wir, was ein gutes Geschenk für Max sein könnte. Beim Einschlafen mache ich mir so meine Gedanken, was ich zu Max’s Birthday Extravaganza anziehen soll. Schliesslich geben meine Radtaschen nur eine limitierte Auswahl an Kleidern. Eins ist jetzt schon klar, das wird lustig und interessant.

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Kommentare   

# Heavily impressed!Irene & Simon 2016-01-07 23:47
Hoi Urs
Wir hatten heute Zeit, deine Beiträge zu lesen. Wir sind immer wieder beeindruckt, wie du das grosse Abenteuer der Panamericana auf dem Bike meisterst. Freudig erwarten wie die nächsten Berichte über deine Erlebnisse in den USA.
Falls ihr uns mal einholt, wartet ein Dinner und eine warme Dusche auf euch ;-)
Gute Fahrt!
Liebe Grüsse aus Puerto San Carlos
Irene & Simon
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